Sonntag, 19. Juni 2016

Ach wären die Entscheidungen der Politik doch rational und nachvollziehbar

Einleitung
Die Heinrich-Böll-Stiftung hat zusammen mit der Otto-Brenner-Stiftung den Versuch unternommen, rechtsextremistische Tendenzen der Masse der Bevölkerung nachzuweisen. In Zeiten, wo eine rechtspopulistische A*D 20% Wählerstimmen für sich gewinnen kann - bei fast 50% Wahlverweigerern - ist das auch nicht sonderlich schwierig. Schwierig wird es jedoch, wenn man die selbst erhobenen Daten in einen falschen Kontext bringt und nicht mehr zuordnen kann. Denn genau das ist passiert - wieder einmal.


Man hat einer ganzen Reihe von Menschen Fragen gestellt, die zwangsläufig zu einem erwünschten Ergebnis führen sollten. So wird die Frage, ob die Fremdenfeindlichkeit ansteigt so gestellt:

"Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat nicht großzügig sein.

Wer jetzt "Ich stimme eher zu" oder "Ich stimme voll und ganz zu" ankreuzte, war fortan jemand, der eine rechtsradikale Position einnahm. So die Interpretation der Böll-Stiftung. Hier fehlt schlicht und einfach eine Frage danach, die die Grundhaltung des Befragten offenbar werden ließe. Aber in Zeiten von "Wir schaffen das" - was der denkbar radikalste Spruch seit Jahren ist, der eher weniger nach Demokratie, sondern eher nach Diktatur riecht - verwundert das wenig. Man muss doch die Interessen einer Grünen Partei wahren, die zusammen mit ihrer Jugendorganisation lieber Reglementiert statt diskutiert. Sichtbarstes Ergebnis sind dann Entscheidungen von Ministerpräsidenten oder Grünenfraktionen, die sich lieber den Interessen einzelner unterordnen, statt nach ihrem Wahlprogramm zu handeln.

Noch interessanter aber als solche Fragen, sind jene Fragen, die die Einstellung der Einzelpersonen in Abhängigkeit zum Erwerbsstatus setzten. Die Thematik Sozialdarwinismus ist in dieser Studie durchaus interessant, ebenso wie die Fragen nach Diktatur oder Chauvinusmus. Man hat es tatsächlich geschafft die (natürlich bei den Anhängern der A*D entsprechend hohen) Werte auch auf alle Anderen zu übertragen. (Tabelle 7/8 - S. 41/42) Interessant werden solche speziellen Themengebiete, wenn man die Kurven zum Sozialdarwinismus sieht, die seit 2002 gezeichnet worden sind. (Grafik 11 - S47)

Die entsprechenden Peaks nach 2002 und 2008/2011 und das jeweilige Absinken danach, wurde hier nicht in einen zeitlichen Kontext mit der Hartz4 Gesetzgebung und dem Bankencrash/Griechenlandkrise gesetzt. Dass die durch Regierung und Teile der Opposition geschürte Herabsetzung von Arbeitslosen in der Gesellschaft vorangetrieben wurde, ist der Böll-Stiftung offenbar nie zu Ohren gekommen. Denn vergleiche ich die Zahlen auf S.41, sind Erwerbstätige die Sozialdarwinisten schlechthin. Arbeitslose haben hier den niedrigsten Wert. Ja warum wohl? Genau! Man ist als Arbeitsloser eben eher nicht der Meinung, man wäre schlechter als alle anderen. Oder wie ist der oft etwas spöttische Blick der Menschen mit Job in Richtung Harz4ler zu bewerten? Mitleid?

Dass Arbeitslose an dieser Stelle gern etwas "mehr Diktatur" hätten, wem ist es zu verdenken, wenn man angesichts des gesetzlich sanktionierten Ausschlusses aus der Gesellschaft etwas an seiner Situation ändern möchte? Da auch gern mit etwas anderen Mitteln? Und irgendwer muss ja die Schuld an der eigenen Misere tragen, was dann ja nur der Ausländer sein kann, der den Arbeitsplatz wegschnappt - wie es ja einige denken. Und angesichts des Zustroms von hunderttausenden Flüchtlingen, die ja alle so sehr gebraucht werden, weil Arbeitsplätze ... ach ihr wisst selbst wie man das einschätzen muss.

Insbesondere die Tabellen, Kurven und die Erklärung der Böll-Stiftung zur "Zustimmung zur Demokratie" lassen mich etwas fassungslos zurück. Mich beschleicht hier das Gefühl: "Die leben auf einem anderen Stern". Tatsächlich ist der Böll-Stiftung völlig entgangen, dass Politik und Medien inzwischen in ihrer eigenen Welt leben. Man wird täglich mit Phrasen bombardiert, die aus der Politik kommen und willfährig von der Presse weiterverbreitet werden. Die Energiepreise fallen angesichts der Energiewende ins Bodenlose, der Bürger aber bezahlt jährlich mehr. Oder wie ist das Dickicht des Lobbyismus in der Regierung zu verstehen, dass die Autokonzerne da gestrickt haben? Denn wieder werden die Auto-Riesen mit 4.000 Euro pro Elektroautokauf gefördert, obwohl es doch wesentlich sinnvoller wäre, diese CO2 Schleudern mal durch entsprechende CO2 neutrale Fahrgeräte wie Elektrofahrräder zu ersetzen? Nicht nur der Umwelt käme das zugute, auch die Krankenkassen hätten wesentlich weniger Mühe mit Fettleibigkeit oder den anderen "Volkskrankheiten".

Diese Demokratie, so sagen es die Piraten, benötigt ein Update! Und der Meinung sind viele andere auch. Denn diese Demokratie, durchzogen von Vetternwirtschaft und Beamten, die den Staat zu ihrer eigenen Spielwiese umdeklariert haben, ist keine Demokratie mehr im Sinne der Gründer dieser Bundesrepublik. Das Recht des Einzelnen ist immer weniger wert. Wer dann noch Fragen stellt, ob die Demokratie in der Bundesrepublik noch funktioniert, der darf sich nicht wundern, wenn er ein Ergebnis erhält, das sehr nah an rechten Äußerungen ist. Denn diese Demokratie braucht ein Update! Wer anderes behauptet, hat schlichtweg die Zeichen der Zeit nicht erkannt.

Nach der Logik der Böll-Stiftung müsste man der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" Rechtsradikalismus unterstellen, weil sie ganz offensichtlich jedwedes Vertrauen in die Demokratie Europas verloren hat, da sie keinerlei Gelder der EU, wie auch aus den Mitgliedsstaaten, mehr annehmen will!

Ab Seite 61 dann wird es völlig abstrus. Die Böll-Stiftung übt sich in Verschwörungstheorie. Es geht um das Vertrauen der Bürger in die einzelnen bundesdeutschen Verwaltungs- und Entscheidungsgremien. Das Vertrauen in die Politik ist erschütternd. Nur 23,1% aller Befragten vertrauen den politischen Parteien. Sogar die Gewerkschaften rangieren nicht besonders weit oben. Bemerkenswert ist, dass die Polizei diese Tabelle anführt. Aber dass das Bundesverfassungsgericht sogar noch vor der Justiz rangiert, ist ein sehr plausibles Ergebnis. Denn insbesondere das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit des Öfteren der Politik schwere Ohrfeigen verpasst. Und das ist den Bürgern in Deutschland eben nicht entgangen, scheint es ja fast so, als ob dieses Gremium das einzige sei, das auf Seiten der Staatsbürger handelt.

Dass sich der Öffentlich Rechtliche Rundfunk mit knapp 52% Zustimmung behauptet, den Fernsehberichterstattungen und Tageszeitungen jedoch von weniger als der Hälfte der Befragten das Vertrauen ausgesprochen wird, zeigt deutlich, wie tief der Graben zwischen den Medien und den Menschen geworden ist. Interessant ist, dass die sozialen Medien zwar weit unterhalb der soeben Genannten rangieren, aber 1% über dem privaten Rundfunk.

Die Böll-Stiftung kommentiert das Ganze nun so, Zitat:
"Das Misstrauen in gesellschaftliche Institutionen geht oft mit der Vorstellung einher, ganz andere »Mächte« würden die Geschicke des Landes oder der Welt lenken"

Politik, Freunde! Politik! Der in dieser Demokratie gemachten Politik wird das Vertrauen entzogen! Die Politik verspricht das Blaue vom Himmel, man wählt eine Person oder Partei und im Ergebnis bekommt man eben anstatt von kein Fracking - Fracking, weil es ein paar Lobbyisten gibt, die meinen, es täte uns gut. Und das alles nur, weil die eigene politische Meinung auf dem Altar des Fraktionszwangs als Opfer dargebracht wird! Lobbycontrol, die dies und viele andere Dinge schon seit Jahren anprangern, wären nach der Denkweise der Böll-Stiftung auch rechtsextrem. Na, danke.

Auf die Frage hin, Zitat:
"Die meisten Menschen erkennen nicht, in welchem Ausmaß unser Leben durch Verschwörungen bestimmt wird, die im Geheimen ausgeheckt werden."
Diese Frage konnte mit: stimme nicht zu, teils/teils und stimme zu, beantwortet werden. Die überwiegende Mehrheit stimmte mit 43,4% nicht zu. 22,6% meinten teils/teils, 34% stimmten zu.

Ich meine, wären die Entscheidungen der Politik rational und nachvollziehbar, würden sicher 80% nicht zustimmen. Jedoch bei dem, was sich die Regierungen in den vergangenen 25 Jahren so alles ausgedacht haben - von der faktischen Abschaffung der staatlichen Rente über die faktische Abschaffung der staatlichen Krankenkassen sowie Hartz4, Bankenrettung, Automobilindustrierettung, Abgasskandal usw., wundert es eigentlich schon, dass 65% eher nicht zustimmen wollen. Oder wie wäre es mit Beispielen zu TTIP oder CETA, die ja mit "Geheimverhandlungen" geführt werden? Wo auch immer man hinsieht, überall wird Geheimniskrämerei betrieben. Wer da nicht an "höhere Mächte" denkt...?

Wie ist es zu erklären, dass auf der Bundespressekonferenz - meisterhaft durch Tilo Jung dokumentiert - die Worte der Bundesregierung (jedes einzelne!) bis an ihre Belastungsgrenze strapaziert werden, nur um nicht das sagen zu müssen, was es letztlich ist. Unsere Massenmedien verbreiten dann den Quatsch und wundern sich über abfällige Bemerkungen. Wer angesichts dieser Tatsachen an der Demokratie nun zweifelt, wer Fragen stellt und versucht, diese gesellschaftlichen Diskrepanzen zu erklären, wird wiederum in die rechte Ecke gestellt.

Mich beschleicht langsam das Gefühl, dass Dogmatismus und ideologische Sichtweisen favorisiert werden, statt "denk selbst" eine Chance zu geben. Eine Demokratie muss viel aushalten können, auch dumme Ansichten. Wer nicht dazu in der Lage ist, gesellschaftliche Probleme zu erkennen und an einer Lösung zu arbeiten, sollte die Finger von Politik lassen, wie auch von solchen pseudo-wissenschaftlichen Arbeiten.

Die Studie "Die enthemmte Mitte" ist, schlichtweg gesagt, ein wissenschaftlicher Witz. So, wie vor einem Jahr die Otto-Brenner-Stiftung die Querfront zu entdecken versucht hat, ist sie diesmal gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung dabei, einer ganzen gesellschaftlichen Gruppe Rechtsextremismus nachweisen zu wollen. Allein das Vorwort zeigt deutlich, dass das Ergebnis der Studie schon lange vorher feststand. Und auch die 171 Seiten, die man jetzt gemeinsam mit der Böll-Stiftung verfasst hat, sind nichts weiter als der wissenschaftliche Versuch, die eigenen Vorurteile bestätigen zu lassen.

Das einzige, was ich mich, angesichts dieser weiteren Studie, frage: Was bezweckt ihr damit? Aufklärung ist es nicht. Was also dann?


Links

* Querfront - Otto-Brenner-Stiftung 2015 https://www.otto-brenner-shop.de/uploads/tx_mplightshop/AP18_Storz_2015_10_19.pdf
* Die Otto-Brenner-Stiftung und der Versuch, die Querfront zu entschlüsseln (Ein Kommentar) http://knautschzone.blogspot.com/2016/06/die-otto-brenner-stiftung-und-der.html
* Mitte-Studie - Heinrich-Böll-Stiftung 2016 https://www.boell.de/sites/default/files/2016-06-mitte_studie_uni_leipzig.pdf
* Ärzte ohne Grenzen nimmt kein Geld mehr von EU und Mitgliedstaaten https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/aerzte-ohne-grenzen-stopp-eu-gelder

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