Sonntag, 19. März 2017

Staat und Kirche

Einleitung

Die Trennung von Staat und Kirche ist mal wieder Thema zu einem Bundesparteitag. Ich ziehe an der Stelle nicht in Zweifel, dass diese Trennung von Staat und Kirche eine notwendige Grundvoraussetzung ist, um Menschen eine vom Gedanken her unabhängige und notwendige Gleichberechtigung zu ermöglichen. Deswegen gehören Treue-Schwüre auf die Bibel oder Bekenntnisse wie "So Gott mir helfe" nicht in öffentliche Ämter. Vereidigungen von Parlamentariern gehören da ebenso nicht dazu, da ein solch abgeleisteter Schwur für mich als bekennender Agnostiker auf irgend eine Bibel so gar keine Relevanz besitzt. Wenn unsere Bundeskanzlerin mir schwören würde, ihre Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen zu tun, dann wäre ich beeindruckt. So gehört der Schwur lediglich irgendeinem fabelhaften Wesen, das für mich ohne Bedeutung ist.

So haben ebenfalls in staatlichen Einrichtungen keinerlei Glaubensartefakte etwas zu suchen. Unsere Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahrhunderten weiterentwickelt. Diesem Ansatz sollte man Folge leisten. So gehören Kruzifixe weder in eine Schule, noch in einen Gerichtssaal. Ebenso gehören Kopftücher, als Ausdruck eines Glaubens, in keine Schule. Man wird mit einer Hautfarbe geboren, von der man sich nicht trennen kann, Glaubensbekenntnisse, welcher Form auch immer, gehören da nicht zu einer schützenswerten Spezies. So, wie mich nicht die sexuelle Vorliebe meines Gegenübers interessiert, so sind mir religiöse Vorlieben auch herzlich egal. Der Mensch ist mein Interesse, sein Handeln, nicht seine Herkunft oder auf welcher Grundlage sein Handeln basiert.

Antrag WP024

Trotzdem habe ich ein großes Problem mit diesem Antrag, weil er die sprichwörtliche Axt im Walde spielt. Piraten, so war meine Meinung bisher, wollten sich differenziert mit den Dingen in dieser Gesellschaft auseinandersetzen. Zu diesen Dingen gehört nachweislich auch der ein oder andere praktizierte Glaube. Dazu gehört aber ebenso die Beachtung historischer Entwicklungen und Gegebenheiten. Religionen gehören seit Menschengedenken zu den prägendsten Dingen auf dieser Welt. Dass dies oft nicht im Sinne und für den Menschen war, liegt lediglich am Menschen selbst. Der Papst z.B. ist nun mal Stellvertreter Christi auf Erden. Wie die meisten von uns sicher selbst wissen, nur Stellvertreter oder Angestellte können fehlbar sein, Chefs sind sozusagen sakrosankt. ,o)

Soll heißen, es ist der Mensch, der $Dinge tut, nicht irgendeine Kirche, Gott, Glauben etc.

Quelle (gbs Köln)
Die Trennung von Staat und Kirche bedeutet eben nicht nur, dass die Kirchensteuer nicht mehr erhoben wird. Die Folgen sind viel weitreichender als man oberflächlich denken mag. Um das aber zu erkennen, muss man sich mit den Tiefen aus Historie und Bibel auseinandersetzen. Klöster z.B., sind seit jeher ein Ort der Wissenschaft und Bildung, ein Ort der Entwicklung, ein Ort der Hilfe gewesen. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil dieser weltlichen Kultur, auf der viele der Grundsätze für diese moderne Gesellschaft fußen. Die Kirche und somit der Glaube ist damit praktisch ein wesentlicher Bestandteil, ein Baustein der heutigen Gesellschaft, ohne den wir viele Probleme mehr hätten.

Zwischenfrage, da ich euch kenne und Fragen vermute, die sich hinsichtlich der vielen Widersprüche zwischen der Bibel und dem Handeln der Kirche bewegen werden:

"Wo steht geschrieben, dass die Menschen logisch sind?" (Mr. Spock - Star Trek 4 - Zurück in die Gegenwart)

Die Kirchen sind ein Teil des heutigen öffentlichen Rechts als sogenannte Körperschaften. Kurz umschrieben, sie haben mit diesem Status teils umfassende Aufgaben der staatlichen Hoheit übernommen. Und hier ist insbesondere ein wesentliches Merkmal enthalten, das auf dem in der Bibel so oft beschriebenen Respekt gegenüber den Menschen basiert. Es gibt inzwischen unzählige kirchliche Einrichtungen, angefangen bei Krankenhäusern, Rettungsdiensten, über Kindergärten, Hospiz- und Pflegeeinrichtungen, bis hin zur Opferseelsorge. Alles Dinge, die auf Basis dieser Gesetze funktionieren und die der Staat selbst nicht in der Lage ist zu leisten! Und wer jetzt die Trennung von Staat und Kirche fordert, fordert im Prinzip eine teilweise Enteignung der Kirchen - was ja nicht das erste Mal passieren würde - und opfert damit einen großen Teil an gesellschaftlicher "Selbsthilfe".

Wer also diese Trennung von Staat und Kirche durchsetzen möchte, der sollte bitte gefälligst zuerst diese Dinge "revolutionieren" und verändern, die im alltäglichen Leben inzwischen nämlich selbstverständlich geworden und nicht mehr wegzudenken sind. Erst dann kann man die Sense ansetzen und den Rest entfernen. Salopp gesagt, wer mit Hilfe eines solchen Antrags die Ängste in der Gesellschaft schüren möchte - bitte gern - aber ohne mich.

Der Antrag fordert auch, Zitat: "Weiterhin sind Feiertagsgesetze zu streichen, die der Allgemeinheit aufgrund religiöser Auffassungen Verhaltensvorschriften auferlegen."

Das würde in letzter Konsequenz bedeuten, "Ihr erklärt von nun an den Kindern, weswegen Weihnachten oder Ostern flach fallen und ersatzlos gestrichen werden.", denn diese Feiertage, so die offen zur Schau getragene Denkweise der Antragsteller, gehören dann gleich mit abgeschafft! Und natürlich Vorschriften wegen eines Glaubens, zudem auch noch "von anderen", gehen schon mal gar nicht! Erst recht nicht, wenn es einen selbst nicht interessiert. Das ist wie mit dem Graffiti an einer Hauswand oder der Pyrotechnik "irgendwo". So lange es die betreffenden Antragsteller selbst nicht (be)trifft, findet man es schön und möchte, dass andere das auch tolerieren.

Oh wait!

Da ist es wieder, das Wort "tolerieren". Toleranz ist in meinen Augen auch ein Teil von Vorschrift, in gewisser Weise sozusagen eine verordnete Toleranz, eine Forderung sozusagen. Und Forderungen anderer erfüllt man ja eher widerwillig. Man stört den Nachbarn eben so lange mit seiner Musik wie man das möchte, Hauptsache, man hat seinen Spaß. Denn wer die Feiertagsgesetze (oder den Sonntag?) abschaffen möchte, der sollte sich dann auch fragen lassen, ob denn nicht die Nachtruheregelung gleich mit abgeschafft werden kann. Es wäre zumindest logische Konsequenz. Das ist wie: "Mist, ich wohne nur unter Rentnern?! Ach was, wozu Rücksicht nehmen! Ich mach was mir gefällt.".

Was folgt dann als Nächstes? Die Abschaffung des Sonntags? Denn auch der Sonntag ist sozusagen eine Erfindung der Kirche. Auch das wäre eine logische Konsequenz. Und siehe da, genau das ist schon in Arbeit! Diese sogenannten Dortmunder Piraten (**1) haben da ein Pamphlet verbreitet, das mich nur noch den Kopf schütteln lässt. Die fordern tatsächlich den geschützten Sonntag abzuschaffen? Auch von anderer Stelle kam die Forderung, dass Sonntage nun nicht wirklich schützenswert seien. Wirklich? Noch mehr Geschwindigkeit in diese Gesellschaft bringen? Genügt die aktuelle Entwicklung nicht? Muss es immer noch schneller werden?

Wenn all das nicht neoliberaler Mist ist, also: "Ich mach was ich will, koste es was es wolle, Hauptsache ich!", dann weiß ich auch nicht mehr.

Die wollen den Sonntag abschaffen? Weswegen? Hass auf alles, was mit Kirche zu tun hat? Um dann was zu haben? 7 Tage Wochen? Noch vor Jahren feierten sich die Gewerkschaften, nach Jahrhunderten der ungezügelten Ausbeutung, endlich die 5 Tage Woche zu haben bei 40 Stunden. Will man nun alles rückgängig machen? Es wird keinerlei Lösung angeboten, wie eine Gleichbehandlung der kleineren Geschäftsleute aussehen könnte. Man macht sich schlicht keine Gedanken darum, was die eigenen Forderungen für Auswirkungen haben werden. Denn nur die Größten unter den Großen, dürften es sich leisten können, 7 Tage in der Woche ihren Laden gewinnbringend zu öffnen. Die Kleinen gehen kaputt, die Großen haben dann noch mehr Möglichkeiten, mithilfe der Billiglohn-Jobs, Menschen in ihre Gewalt zu bringen, auszubeuten. Ach deswegen fordert man ja das BGE ... *hust* .. Leute, ich bitte euch! ... Realität geht wirklich anders!

Unternehmen und deren Aktionäre werden niemals freiwillig auf etwas verzichten! Schon gar nicht zugunsten anderer, ihrer Mitarbeiter nämlich! Am Ende kann ich nur sagen: "Tolle neue Welt und mehr neoliberal geht dann wirklich nicht mehr!".

Es gibt tatsächlich vieles zu ändern, auch im Umgang mit der Kirche. Das, was dieser Programmpunkt aber fordert, geht im Prinzip zwar nicht zu weit, ist aber völlig unüberlegt. Wer diese Forderung, diesen Antrag, so wie er dort formuliert ist, unterstützt, sollte sich künftig sehr genau überlegen, wann er Hilfe annimmt und vor allem darüber nachdenken - vom wem sie kommt!


#MeineMeinung!


Zusatz:

https://twitter.com/HuWutze/status/838421436201066496
Eindeutig geht natürlich anders, klar. Aber es hat meine Einstellung zu diesem Thema bestätigt. Eine Mehrzahl ist dafür, den einkaufsfreien Sonntag zu behalten bzw. nur Teile daran zu verändern.

(**1) Was viele nicht wissen, die Mitantragsteller D. Pullem und A. Wille betreiben gemeinsam einen Spieleladen und sind beide im Vorstand der Dortmunder Piraten (Vorsitzender und "Beihilfe"). Die betreffende AG ist maßgeblich von beiden initiiert worden.